Oft meinen wir, die dunkle Nacht über Brasilien sei doch so weit von unserem Alltag in der Schweiz entfernt. Länder wie Brasilien seien halt noch stark rückständig und bräuchten leider noch lange Zeit, um so zu werden, wie wir es dank unseren Bemühungen geworden sind. Wir sind eben die Entwickelten, und die Länder des globalen Südens halt weiter die Unterentwickelten.

Längst ist klar und bewiesen, dass es nicht möglich ist, dass alle Länder auf dem Konsumniveau des globalen Nordens leben. Die Welt hält diese Überentwicklung nicht aus und heute schon haben wir die ökologischen Grenzen unseres Planeten längst überschritten. Das Beruhigungsmantra der Entwicklung ist also nichts anderes als eine Lebenslüge, welche die existentielle Notwendigkeit grundlegender, globaler Veränderungsprozesse aus unserem Horizont verdrängt und unseren privilegierten Status Quo normalisiert.

Die Länder des globalen Südens sind weder «rückständig» noch «unterentwickelt». Sie sind Opfer der aktuellen Weltsozialhierarchie, die sie strukturell in die ewig unteren Etagen verbannt, Strukturen der Macht ungleich verteilt und systematische Ausbeutungsmechanismen zementiert. Oder wie es Eduardo Galeano pointiert formuliert: «Wir haben uns aufs Gewinnen spezialisiert – und die anderen aufs Verlieren festgelegt».

Die kapitalistische Weltordung ist ganz einfach kein Perpetuum Mobile. Sie kann sich nicht aus sich selbst heraus erhalten. Sie lebt von der permanenten Einverleibung von Arbeit und Natur. Kapitalismus ist ein globales System von Zwängen: Expansionszwang, Akkumulationsimperativ und Gewinnmaximierung. Dieses System kann nur durch die Ausbeutung lebendiger Arbeit und die Zerstörung lebendiger Natur existieren. Überentwicklung und Wohlstand des globalen Nordens kann nur bewahrt und vermehrt werden, solange im globalen Süden Unterentwicklung gefördert und «Unwohlstand» produziert wird. Unsere kleine, blaue Welt ist permanenter Schauplatz von gigantischen Prozessen globaler Umverteilung von Gewinnen und Verlusten. Die Kosten unserer Wohlstandsproduktion werden konsequent in die Länder des globalen Südens ausgelagert. Armut und Gewalt werden systematisch vom Zentrum an den Rand der Welt abgewälzt.

Doch die scheinbar unbeschränkte Reproduktion dieser herrschenden globalen Weltordnung stösst sichtbar an unmittelbare Grenzen. Einerseits schlägt das Zerstörungspotenzial der weltgesellschaftlichen Ungleichheitsstruktur immer stärker auch auf die «entwickelten» Zentren unserer Welt zurück. Migration und Klimawandel sind in diesem Kontext entscheidenden Stichworte. Andererseits kann sich die Reichtumsproduktion auf Kosten des globalen Südens nur zunehmend gewaltsam sichern.

Bolsonaro, der neugewählte Präsident Brasiliens, ist Ausdruck dieser zunehmenden Gewalt. Nicht zufällig wurde er noch während des Wahlkampfes durch die Deutsche Bank als Wunschkandidat des globalen Marktes deklariert. Bolsonaro ist Teil der aktuell dominanten, gewalttätigen Verhinderung eines für das Überleben der Menschheit und der Erde absolut notwendigen Wandels. Er gehört zum Team der Ungleichheitsbewahrer und Privilegienschützer. Brasilien ist keine Insel, die dunkle Nacht über Brasilien kein lokal begrenztes Phänomen.

Doch der momentane Sieg der Veränderungsverhinderer ist kein Grund für Pessimismus und Hoffnungslosigkeit. Im Gegenteil! Die Zeichen der Zeit sind Anstoss und Motivation, noch klarer und konsequenter gegen Hass und Diskriminierung einzustehen und Respekt vor Gleichheit und Würde aller Menschen zu fordern. Alle sind wir Menschen und jeder von uns ist Menschheit. Entweder lernen wir, Teil der Lebensgemeinschaft von Mensch und Natur zu sein, oder wir verlieren das Anrecht auf unsere Existenz.

(tuto)