Kinderrechtszentrum

Das Kinderrechtszentrum Interlagos (Centro de Defesa dos Direitos da Criança e do Adolescente de Interlagos – CEDECA Interlagos) entstand aus der Basisarbeit in den Favelas von Interlagos, in der Südzone von São Paulo, Brasilien.

Die legalen Refenzen des Kinderrechtszentrums sind die Internationale Kinderrechtskonvention und das brasilianische Kinderstatut (Estatuto da Criança e do Adolescente). Zwar hat Brasilien mit diesen beiden Menschenrechtsdokumenten eine sehr fortschrittliche Rechtslage, die Realität der Kinder und Jugendlichen liegt aber meilenweit entfernt von den in den Gesetzen garantierten Rechten. Das Ziel des Kinderrechtszentrums Interlagos ist es deshalb, genau diese riesige Distanz zwischen dem Buchstaben des Gesetzes und der alltäglichen Wirklichkeit von Kindern und Jugendlichen zu reduzieren.

Dafür schafft das Kinderrechtszentrum sichere Räume ohne Gewalt und Ausbeutung für Kinder und Jugendliche, damit sie selber ihre gemeinsame Stimme stärken, um für ihre Rechte einzustehen. Die beiden zentralen Projekte des Kinderrechtszentrums heissen ‘Treffpunkt Kinderrecht’ und ‘Netzwerk Kinderrecht’.

Der Treffpunkt Kinderrecht

Als soziale, psychologische und juristische Beratungsstelle ist der ‚Treffpunkt Kinderrecht‘ eine immer offene Türe, ein Auffangbecken für alle Kinder und Jugendliche, die Opfer von Gewalt sind und deren Rechte verletzt werden. Im Treffpunkt finden sie nötige Informationen und psychosoziale Begleitung. Ein professionelles Team mit Sozialarbeitern, Rechtsanwälten und Psychologen begleitet Kinder, Jugendliche und ihre Familien und steht auch vor Gericht für ihre Rechte ein.

Monatlich begleitet der Treffpunkt Kinderrecht über zweihundert Kinder und Jugendliche, die Opfer häuslicher Gewalt wurden; die durch Todesschwadronen und Drogenhandel bedroht, rekrutiert und ausgebeutet werden; die durch Militärpolizei ausgebeutet und gefoltert werden; die keinen Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung finden; die Opfer sexueller Ausbeutung und Missbrauchs sind.

Der häufigste Täter dieser Menschenrechtsverletzungen ist oft der brasilianische Staat selber. Sozialpolitik wird nicht priorisiert, Programme und Projekte werden weggespart und Kinder werden als Zukunft Brasiliens deklariert, ohne dass im Jetzt und Heute ihre elementaren Bedürfnisse gesichert werden.

Die häufigsten Probleme, denen der Treffpunkt Kinderrecht begegnet, sind: fehlende Schulplätze; Inexistenz einer koordinierten und integralen Sozialarbeit, die den Schutz von Kindern und Jugendlichen garantiert; ein fragiles Gesundheitssystem, welches die Komplexität des gravierenden Drogenproblems nicht wahrnimmt; eine Logik der «öffentlichen Sicherheit», die ausschliesslich auf der Repression der Bevölkerung der Favelas basiert und Kinder als potenzielle Kriminelle stigmatisiert.

Im ‚Treffpunkt Kinderrecht‘ finden Kinder, Jugendliche und ihre Familien einen geschützten Ort, um gemeinsam Wege aus der Gewalt, der Bedrohung und der Hoffnungslosigkeit zu erarbeiten.

Das Netzwerk Kinderrecht

Ist der Treffpunkt Kinderrecht Antwort auf Gewalt und Ausbeutung, versucht das Netzwerk Kinderrecht präventive Lösungsansätze zu ermöglichen. Das Netzwerk verbindet über zwanzig Initiativen in Favelas der Südzone von São Paulo und begleitet über achthundert Kinder und Jugendliche. Innerhalb der verschiedenen Gruppen und Initiativen wird schulbegleitend Theater gespielt, Musik gemacht, Fussball geübt. Die Kinder und Jugendlichen lernen Akrobatik mit Bälllen und balancieren auf dem Seil, sie mahlen gemeinsame Darstellungen ihrer Wirklichkeit und beleben graue Wände der Favelas durch farbenfrohe Bilder über Menschenrechte und Naturschutz. Sie tanzen Capoeira mit beeindruckender Eleganz und trommeln ihre Lebensfreude in ergreifende Rhythmen.

Die Strategie des Projektes holt die Kinder und Jugendlichen dort ab, wo ihre spezifischen Interessen liegen. Das Projekt bietet sportliche und kulturelle Aktivitäten aller Farben und Möglichkeiten an: von Perkussion über Capoeira, vom Fotografieren bis zum Grafitti, von Tanz und Musik bis Spiel und Sport.

Die Kinderrechte sind in den Aktivitäten allgegenwärtig. Es geht also nicht um Freizeitbeschäftigung, sondern um die Stärkung von Kindern und Jugendlichen, durch gemeinsam organisierte Aktivitäten konkrete Alternativen zur alltäglichen Gewalt ihrer Lebenswelt zu ermöglichen. Kinder und Jugendlichen bilden dank dem Projekt ein Netzwerk der Bewusstseinsbildung, das gleichzeitig das lokale Gemeinwesen in den Favelas fördert und stärkt.

Die lähmende Erfahrung, Opfer der Gewalt zu sein, wird durch positves Engagement überwunden. Kinder und Jugendliche erkennen ihr eigenes Potenzial, stärken ihr Selbstwertgefühl und überwinden so den Fatalismus der Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit. Gleichzeitig zeigt das Projekt die Wirksamkeit gemeinschaftlicher Organisation. Drogenhandel und organisiertes Verbrechen verlieren ihr historisches Monopol, weil Menschen die Angst überwinden und als Subjekte ihrer eigenen Geschichte zu handeln beginnen.

Der vierzehnjährige Rodrigo bringt die Philosophie des Projektes auf den Punkt: „Elend und Armut fallen nicht vom Himmel. Sie sind Produkt unserer Geschichte. Und weil unsere Wirklichkeit in der Vergangenheit so konstruiert wurde, kann sie in der Gegenwart und in der Zukunft auch wieder anders gestaltet werden! Daran arbeiten wir gemeinsam!“

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