André, Zirkusschule Kinderrechtszentrum Interlagos: 

Mein Name ist André, alle nennen mich Deco. Ich habe Geschichte studiert und arbeite seit drei Jahren in der Zirkusschule des Kinderrechtszentrums Interlagos. Wir erleben in Brasilien gerade einen historischen Moment. Durch die Wahlen im vergangenen Oktober ist uns ein wichtiger Schritt gelungen, die Politik des Todes der Regierung Bolsonaro zu überwinden. Es ist mir wichtig, das mit so klaren Worten zu benennen. Denn was wir mit dieser Regierung erleben mussten, schliesst direkt an unsere koloniale Geschichte und an die Vergangenheit der Militärdiktatur an. Theoretisch haben wir das ja alles eigentlich überwunden, wir leben in einer Demokratie, einem Rechtsstaat, die Menschenrechte sind durch die Verfassung geschützt. Doch das ist nur das schöne Bühnenbild, das eine Farce, eine Maske ist. In den vergangenen Jahren haben wir gesehen, was sich hinter dieser Maske versteckt. Mit unglaublicher Gewalt hat die brasilianische Elite mit internationaler Unterstützung ihre Fratze gezeigt. Brasilien ist eben immer noch eine modernisierte Sklavengesellschaft, die Logik der Diktatur prägt bis heute die gesellschaftlichen Beziehungen. Logisch, dass Brasilien eine Aufarbeitung der Vergangenheit der Diktatur, wie z.B. in Argentinien, nie erlebt hat. Das ist hier ein absolutes Tabu. Brasilien tut so, also ob die Vergangenheit einfach vergangen wäre. Aber Bolsonaro hat auf extrem klare Weise gezeigt, wie diese antidemokratischen Strukturen noch sehr präsent sind. Diese finden sehr schnell Verbündete, vor allem in der Wirtschaft und ganz speziell im Agrobuisness.

Unsere Antwort kann nur die Stärkung der Zivilgesellschaft sein. Genau auf diesem Weg ist ja das Kinderrechtszentrum mit all seinen Partnerorganisationen und Netzwerken unterwegs. Das ist der Grund, warum ich im Kinderrechtszentrum arbeite. Wir haben eine historische Aufgabe, das durch asymmetrische Strukturen erzwungene Leiden der Kinder, Jugendlichen und ihren Familien zu hinterfragen. Wir müssen ihr Leben innerhalb dieses Kontextes verstehen und analysieren. Als Lehrperson in der Zirkusschule des Kinderrechtszentrums versuche ich diesen Prozess mitzugestalten. In unserer alltäglichen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen geht es darum, das Schweigen zu brechen, die eigene Stimme zu wagen, auszudrücken, wie Gewalt und Unterdrückung sich im Leben der Menschen breit machen. Natürlich müssen wir Formen finden, um Perspektiven und Horizonte zu öffnen. Dafür bieten Spiel, Sport und Kultur privilegierte Arbeitsmöglichkeiten. Sie alle sind Instrumente, mit denen wir einen Raum schaffen, der die Kinder und die Jugendlichen als soziale Akteure stärkt, sowohl individuell als auch gemeinschaftlich. Die Zirkusschule ist ein kleines Projekt angesichts der riesigen Herausforderung. Aber wir verbünden uns mit anderen Organisationen wie z.B. die Capoeiraschule Guaraúna. So gewinnen wir an Kraft und Potenzial, verwurzeln uns stärker in unserem Kontext, bewahren einen realistischen Blick auf das, was wir vermögen, und bringen einen spannenden Prozess in Bewegung.