„Neue Bewegung“: das ist nicht nur die Übersetzung des Namens unseres Vereines ‚Novo Movimento‘, es ist gleichzeitig der Grundgedanke unseres Handelns. Wir lassen uns durch das festgefahrene System unseres Weltgefüges nicht entmutigen. Wir wollen die unveränderbar scheinende Wirklichkeit in Bewegung bringen und lassen und durch das Engagement vieler Kinder und Jugendlichen aus der Projektarbeit in Brasilien inspirieren. Kinder und Jugendliche werden in den Projekten ermutigt und ziehen andere Jugendliche nach. Sie vernetzen sich und geben auch uns Hoffnung, damit wir nicht dem lähmenden Gefühl der Ohnmacht nachgeben.

Durch die mit Novo Movimento ermöglichte Projektarbeit öffnen wir unseren Blick auf die globalen Krippen, machen uns den scheinbar so weit entfernten Menschen nahe, gerade weil uns bewusst ist, dass wir durch wirtschaftliche und gesellschaftliche Zusammenhänge sowieso miteinander verflochten sind. Wir versuchen die Ungleichheitsstrukturen des kolonialen Erbes aufzubrechen.

Es gibt Alternativen. Das zeigen die vielen, kleinen lokalen Bewegungen, die durch die Projektarbeit von Novo Movimento in den vergangenen Jahrzehnten entstanden sind. Diese gewinnen Ende der Neunzigerjahre mit der Gründung des Kinderrechtszentrums Interlagos in der Südzone von São Paulo langsam an Sichtbarkeit. Als Teil dieses Prozesses wurden ebenfalls der Aufbau der Capoeiraschule Guaraúna unterstützt und viele weitere, lokale Initiativen finanziert. Eingebettet sind diese lokal verwurzelten Projekte in das ebenfalls durch Novo Movimento unterstützte brasilianische Netzwerk sozialer Bewegungen, das im vergangenen Oktober bereits seinen dreissigsten Geburtstag feiern konnte und sich als Sprachrohr der oft zum Schweigen gebrachten Mehrheit der Menschen in Brasilien entwickelt hat.

Die Projektarbeit von Novo Movimento unterstützt also nicht nur ein punktuelles Projekt auf einer kleinen, isolierten Insel, sondern hat einen breiten Organisationsprozess von vernetzten Organisationen und Initiativen systematisch begleitet. Ziel war nie der Aufbau einer riesigen Institution oder einer in sich verschlossenen Struktur. Immer geht es um einen breiten Prozess, der es Kindern und Jugendlichen ermöglicht, sich selbst für ihre Rechte zu engagieren. Immer war klar, dass der Weg die Vernetzung von vielen kleinen, lokal gewachsenen und auf die vorhandenen Potenziale in den Favelas bauenden Initiativen ist. Eine Institution allein ist den Herausforderungen nie gewachsen und hat gleichzeitig immer auch das Risiko, nicht die Bedürfnisse der Menschen zu priorisieren, sondern der eigenen institutionellen Entwicklung den Vorrang zu geben. Das ist in einem vernetzten Organisationsprozess, der wesentlich auf die direkte Beteiligung von Kindern und Jugendlichen baut, nicht möglich. Und gleichzeitig ist ein solcher lokal verankerter Prozess nicht von Finanzierungen abhängig, sondern hat in sich selbst seine motivierende Lebenskraft.

Dieser partizipative Organisationsprozess im Kontext des Kinderrechtszentrums Interlagos baut auf zwei Projektkomponenten: einerseits der Treffpunkt Kinderrecht und andererseits das Netzwerk Kinderrecht. Der Treffpunkt hat in den Vergangenen Jahren den Aufbau von vier Anlaufstellen für alle Formen der Kinderrechtsverletzungen erreicht. So ist die ganze Stadtregion Interlagos mit niederschwelligen Anlaufstellen abgedeckt. Kinder, Jugendliche und ihre Familien finden in den Anlaufstellen des Projektes Treffpunkt Kinderrecht immer ein offenes Ohr und fachgerechte Begleitung, wenn Kinder und Jugendliche Opfer von Gewalt werden. Monatlich wird eine Vielzahl von Fällen sexueller Gewalt und Ausbeutung, Polizeigewalt aber auch Situationen fehlender Schulplätze und viele andere Formen der Gewalt gegen Kinder begleitet. Das Projekt ermöglicht nicht nur psychosoziale Begleitung, sondern aktiviert gleichzeitig die verantwortlichen Stellen des Staates und der Justiz, um den schönen Worten der internationalen Kinderrechtskonvention, die auch in der brasilianischen Gesetzgebung verankert ist, im Alltag wirksame Konkretheit zu verschaffen. Sicher ist die Anzahl von Fällen noch sehr viel grösser als die aktuelle Kapazität der Begleitung. Aber eine Grundstruktur ist schon mal geschaffen, die hoffentlich in den kommenden Jahren weiter ausgebaut werden kann.

Während das Projekt Treffpunkt Kinderrecht unmittelbar auf die vielfältigen Formen der Gewalt gegen Kinder und Jugendliche Antworten sucht, ermöglicht das Projekt Netzwerk Kinderrecht geschützte Räume für Kinder und Jugendliche, um ihre Rolle als Opfer von Gewalt zu überwinden, selbst aktiv zu werden, sich mit anderen Kindern und Jugendlichen zu verbinden und gemeinsam an der Gestaltung und Veränderung ihrer Lebenswelt mitzuwirken. Das Herzstück des Projektes ist die Zirkusschule des Kinderrechtszentrums (Circo Escola), ein grosses Zirkuszelt Mitten im Grajaú, dem bevölkerungsreichsten Viertel der Region Interlagos (Südzone von São Paulo). Die Zirkusschule ermöglicht Kindern und Jugendlichen schulbegleitende Aktivitäten und hat als erstes Ziel, Kinder und Jugendliche in der Schule zu stärken und damit den Schulexodus und die daraus folgende Kinderarbeit zu stoppen. Alternative Aktionsmöglichkeiten werden angeboten, die den Kindern und Jugendlichen Raum zur individuellen und gemeinschaftlichen Entwicklung ermöglichen.

In der alltäglichen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen geht es darum, das Schweigen zu brechen, die eigene Stimme zu wagen, auszudrücken, wie Gewalt sich in ihrem Leben breit macht. Spiel und Sport, Musik, Tanz und Theater sind vorzügliche Arbeitsinstrumente, den Kindern und Jugendlichen Raum zu öffnen, sie als soziale Akteure zu stärken. Die Zirkusschule ist aber nur ein Teil des Projektes. Denn insgesamt vernetzt das Projekt viele, kleine, verschiedene und komplementäre Initiativen in möglichst vielen Favelas der Region. So gewinnt das Projekt als Ganzes an Kraft und Potenzial, verwurzelt es stark im lokalen Kontext und gibt ihm über die Region hinaus eine sehr positive Sichtbarkeit. Die Sambagruppe Pagode da 27 ist eine dieser im Netzwerk aktiven Initiativen.

(tuto)