Von den 50 Städten der Welt mit den höchsten Mordraten liegen gemäss aktualisierten Daten des vergangenen Jahres 41 in Lateinamerika, knapp die Hälfte davon in Brasilien.
Unter den 25 Ländern der Welt mit den höchsten Feminizidziffern liegen 14 in Lateinamerika. Brasilien konzentriert innerhalb dieser 14 lateinamerikanischen Länder 40% der Fälle.
Darum ist Marielle Franco, die gestern genau vor einem Jahr auf offener Strasse in Rio de Janeiro ermordet wurde, nur die Spitze des Eisberges.
Im selben Jahr hat Brasilien den ebenfalls aus Rio de Janeiro stammenden Jair Bolsonaro, der Folter und Militärdiktatur zum Himmel lobt, zum neuen Präsidenten Brasiliens gewählt. Beide Tatsachen zeigen glasklar, wie fragil es im kontinentalen Brasilien um die Menschenrechte steht und wie immer weniger kritische Stimmen gegen Diskriminierung und Ausbeutung, gegen Ungerechtigkeit und Gewalt geduldet werden.
Zwar ist bis heute nicht abschliessend geklärt, wer Marielle ermordet hat, doch Tatsache ist, dass die Ermittlungen den Clan Bolsonaro immer stärker in Bezug zum Mordfall an Marielle bringen. Die Frau und die Mutter eines in den Ermittlungen Angeklagten, der bis heute nicht gefasst wurde und als zentraler Kopf paramilitärischer Gruppen in Rio de Janeiro gilt, arbeiteten im Kabinett des Palamentariers Flavio Bolsonaro, Sohn des Präsidenten. Der vorgestern verhaftete Ex-Militärpolizist, der die Schüsse gegen Marielle auslöste, ist direkter Nachbar vom Präsidenten in einer abgeriegelten Wohnanlage in Rio de Janeiro.
Marielle sollte zum Schweigen gebracht werden, doch Marielle ist zum Samen geworden, der sich tausendfach multipliziert und die vielfarbigen Stimmen gegen Autoritarismus und soziale Ausgrenzung trotz allem zu einem immer stärker hörbaren Chor vereint, welcher der dominanten Herrschaft widerspricht und deren Logik der Gewalt und des Hasses zu brechen versucht.
In ganz Brasilien wurden gestern diese sich multiplizierenden Stimmen sichtbar: aber nicht nur in Brasilien, auch in der Schweiz. In Bern z.B. versammelten sich mehr als zweihundert Menschen in Solidarität zu Marielle Franco und den sozialen Bewegungen Brasiliens. Gerade in der aktuellen Situation Brasiliens sind diese Zeichen der Solidarität und der Verbundenheit von enormer Bedeutung.
Bilder der Kundgebungen von gestern in Brasilien:
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Bilder: Mídia Ninja
Die von den organisierenden Organisationen der Kundgebung in Bern von gestern zusammengefassten sechs Punkte buchstabieren, wie sich die Solidarität mit Brasilien heute übersetzen muss. Die Kundgebung fordert von der Schweizer Regierung:
• Keine Waffen und keine Munition nach Brasilien! Gemäss Exportstatistik des SECO war Brasilien 2017 der drittgrösste Abnehmer von Schweizer Waffen.
• Kein Freihandelsabkommen, solange grundlegende Menschenrechte nicht garantiert sind.
• Schweizer Konzerne, die mit Brasilien Geschäftsbeziehungen unterhalten, sollen stärker in die Pflicht genommen werden. Insbesondere geht es darum, zu untersuchen, ob sie von Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung profitieren.
• Die Schweiz soll sich gegen die Kriminalisierung und Verfolgung sozialer Bewegungen und der politischen Opposition einsetzen.
• Die Schweiz muss sich dafür einsetzen, dass Menschenrechte, insbesondere der indigenen Bevölkerung, der LGBTIQ*-Community, von Favela-Bewohner*innen, Landlosen und anderen respektiert werden. Speziell soll sie sich für den Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen in Brasilien einsetzen.
• Die Schweiz soll sich dafür stark machen, dass die Ermordung von Marielle Franco aufgeklärt und die Täter*innen und Auftraggeber*innen bestraft werden. Ebenfalls müssen die Verbindungen der Familie Bolsonaro zu den für das Verbrechen Verantwortlichen untersucht werden.
Bilder der Kundgebungen von gestern in Brasilien:
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Bilder: Manu Friederich
Marielle, du fehlst uns…
und trotzdem, Marielle,
du lebst weiter, durch uns und mit uns…
Sie haben dich ermordet,
doch unsere Ideen von Würde und Gerechtigkeit
lassen sich nicht auslöschen…
In deinem Namen arbeiten wir weiter,
wo dein Engagement so brutal unterbrochen wurde…
in Brasilien, in Lateinamerika, in der ganzen Welt!
Marielle, vive!
Marielle, presente!
Sergio Ferrari, Bern und Tuto B. Wehrle, Bogotá