Am Abend des vergangenen 14. März 2018 wurde die brasilianische Menschenrechtsaktivistin und Stadträtin von Rio de Janeiro, Marielle Franco in ihrem Auto auf offener Strasse ermordet. Auch ihr Fahrer Anderson Gomes wurde Opfer des akribisch vorbereiteten Verbrechens.

Marielle lebte ihr Leben lang in der Favela da Maré, eines der grössten Elendsviertel von Rio de Janeiro. Die 38 jährige Soziologin verstand sich als Sprachrohr der Kinder und Jugendlichen der Favelas, die vorzugsweise zu Opfern der willkürlich agierenden Militärpolizei, ihrer Todesschwadrone und der Drogenhändler werden. Sie engagierte sich für die Rechte der Frauen und setzte sich für die mehrheitlich schwarze Bevölkerung der Favelas ein. Seit dem Sturz der brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff (August 2016) denunzierte sie wiederholt den wachsenden Autoritarismus in Brasilien und kritisierte die militärische Intervention in Rio de Janeiro, die durch den amtierenden Putsch-Präsidenten Michel Temer im Februar in Rio gestartet worden waren.

Am 28. Februar wurde Marielle zur Vorsitzenden der Menschenrechtskommission nominiert, welche die Intervention des Militärs hätte überwachen sollen. Am 10. März denunzierte sie die perverse Gewalt der Militärpolizei in der Favela Acari und am 14. März wurde sie durch ein Killerkomando ausgelöscht.

Der Tod von Marielle ist aber nur die Spitze des riesigen Eisberges der Gewalt in Brasilien. Gemäss einer im vergangenen Dezember durch die Organisation Small Arms Survey mit Sitz in Genf veröffentlichten Studie sind im Jahr 2016 weltweit 560.000 Menschen durch Gewaltsverbrechen getötet worden, 99.000 (18%) in den verschiedenen Kriegsherden der Welt. Die Mehrheit der Opfer verlor ihr Leben jedoch ausserhalb der Kriegszonen (82%), über 70.000 Menschen (12%) alleine in Brasilien. Der Anteil Brasiliens an der Weltbevölkerung beträgt aber weniger als 3%. Mit über 190 Morden pro Tag steht Brasilien in absoluten Zahlen weltweit an erster Stelle und übertrifft jede der aktuellen Kriegsregionen der Welt, selbst Syrien.

Gemäss Analyse der Vereinten Nationen (UNODC – United Nations Office on Drugs and Crimes) ist nicht nur die absolute Zahl brasilianischer Opfer von Gewaltsverbrechen erschreckend. Noch erschüttender ist die Tatsache, dass 45% der Opfer Kinder und Jugendliche sind und 66% eine afrobrasilianische Herkunft haben.

Bild: Francisco Proner Ramos

Das Bild des Schreckens wird durch eine anfangs März publizierte Studie der mexikanischen Organisation Seguridad, Justicia y Paz vervollständigt. Jährlich publiziert sie ein Ranking der Gewalt in Städten mit über 300.000 Einwohnern ausserhalb der weltweiten Kriegszonen. Innerhalb der weltweit 50 gewalttätigsten Städte liegen 43 in Lateinamerika und 17 alleine in Brasilien. Bezeichnend ist, dass Rio de Janeiro nicht zu diesen 17 Städten gehört. Dies zeigt klar, dass die Gewalt kein auf Rio fokussiertes Problem ist, sondern längst zu einer nationalen Herausforderung geworden ist.

Trotz dieser gewalttätigen Realität Brasiliens kommunizierte im vergangenen Dezember der Schweizer Rüstungskonzern RUAG sein Vorhaben, 2018 eine Munitionsfabrik im brasilianischen Bundesstaat Pernambuco aufbauen zu wollen. Im Nordosten Brasiliens also, wo sich der Grossteil der 17 gewalttätigsten Städte Brasiliens konzentriert. Als Rechtfertigung für diese absurde Millioneninvestition gibt RUAG an, die produzierte Munition werde selbstverständlich nur an den offiziellen Sicherheitsapparat Brasiliens verkauft.
Die Munition, mit der Marielle ermordet wurde, war 2006 an die brasilianische Bundespolizei (Polícia Federal) verkauft und ebenfalls beim grössten Massaker in São Paulo im vergangenen Jahr gefunden worden. Wer Brasilien auch nur ein klein wenig kennt, weiss ganz genau, wie stark der offizielle (Un)Sicherheitsapparat mit dem organisierten Verbrechen verfilzt ist.

Wer sich also trotz dieser überwältigenden Daten und Fakten für den Bau einer Munitionsfabrik in Brasilien entscheidet, stützt sich entweder auf eine oberflächliche, die Realität ignorierende Analyse, oder orientiert sich ausschliesslich am Kriterium des potenziellen Profites. Beide Szenarien sind ethisch unhaltbar und und für einen gänzlich bundeseigenen Konzern nie und nimmer zu rechtfertigen.

Die Möglichkeit zum Bau einer Schweizer Munitionsfabrik in Brasilien eröffnete sich nur deshalb, weil RUAG mit dem brasilianischen Putsch-Präsidenten Michel Temer die Aufhebung des Jahrzehnte alten Staatsmonopols verhandelt hatte. Michel Temer ist derselbe, der die grossen Erfolge der Armutsreduktion vergangener Jahr durch Kürzung und Auflösung strategischer Sozialpolitik wieder rückgängig macht.

Kurz vor ihrem Tod hat Marielle Franco in einem Artikel gefragt, wieviele Menschen noch sterben müssen, bis dieser Krieg endlich ein Ende findet. Angesichts der aktuellen Lage Brasiliens werden es noch viele sein. Und sie sterben in Zukuft durch Munition aus einer Schweizer Fabrik.

Bild: Francisco Proner Ramos