Immer wieder höre ich die beinahe depressive Anerkennung der unheimlichen Komplexität des «herrschenden Systems», in dem wir doch alleine nichts zu ändern vermögen. In den vielen Jahren des Zusammenlebens und Zusammenarbeitens mit Menschen der Favelas in São Paulo, Brasilien, habe ich vor allem eine wesentliche Botschaft gelernt: «Wir können uns den Luxus der Hoffnungslosigkeit nicht leisten». Kinder, Frauen und Männer setzen sich auf beeindruckende Weise in ihrem alltäglichen Leben für mehr Würde, Menschlichkeit und Gerechtigkeit ein. Und das trotz systematischer Rückschläge, trotz der immer gegenwärtigen Fratze der Gewalt, trotz der bedrohlichen Ungewissheit des eigenen Überlebens. Genau am Netz dieser widerständigen Hoffnung versucht NOVO MOVIMENTO weiter zu spannen. Der brasilianische Poet Thiago de Mello bringt es auf den Punkt: «Dunkel ist es, und trotzdem singen wir!».

In den vergangenen Monaten haben wir über die absurde Waffenproduktions- und Waffenexportpolitik des Bundes geschrieben und  vernetzt. Sicher nur ein kleiner Tropfen… Doch wenn Tropfen sich vereinen, können verändernde Flüsse entstehen…

Hier eine kurze Zusammenfassung: im vergangenen März wird die Stadträtin von Rio de Janeiro, Marielle Franco auf offener Strasse kaltblütig ermordet. Bis heute bleibt der Mord unaufgeklärt. Noch im April bestätigt die bundeseigene Waffenschmiede RUAG ihr Vorhaben, in Brasilien eine eigene Munitionsfabrik aufzubauen. Im selben Monat verfasse ich einen Artikel (Schweizer Munition für die Gewalt in Brasilien), der auf dem Blog der Zeitschrift Aufbruch und in der Newsletter des Deutschen Aktionsnetzes Kleinwaffen Stoppen – DAKS veröffentlicht wird. Auch der Rundbrief von Novo Movimento (Mai 2018) hat den Text natürlich aufgenommen. Gleichzeitig baut Solifonds den Inhalt des Textes in einen Offenen Brief  an den Bundesrat ein, der von sechzehn Schweizer Hilfswerken unterzeichnet wird. Die Reaktionen auf den Rundbrief sind überraschend gross. Viele LeserInnen geben ihrem Zorn und ihrer Fassungslosigkeit Ausdruck. Doch noch besser: sie selber werden aktiv und schreiben an National- und Ständerätinnen. Diesem wachsenden Druck haben sicher auch die Motion von Priska Seiler Graf und die Interpellation von Angelo Barrile (beide SP Zürich) wichtigen Ausdruck verschafft und das Anliegen gestärkt. Und das mit Erfolg:

Denn gestern (6. September 2018) wird die erfreuliche SDA-Mitteilung auf watson.ch und im Blick.ch mit dem suggestiven Titel «Angst um guten Ruf: RUAG verzichtet auf Bau einer Munitionsfabrik in Brasilien» veröffentlicht. Die SDA-Mitteilung ist Konsequenz der Antwort des Bundesrates auf die Interpellation von Angelo Barrile. Der Bundesrat schreibt: „Der Bundesrat ist als Alleinaktionär der Ruag Holding AG der Ansicht, dass der Bau einer Anlage für Munitionsfertigung in Brasilien mit Reputationsrisiken für die Ruag und die Schweiz verbunden wäre, weshalb darauf verzichtet werden sollte. Er hat diese Haltung dem Verwaltungsrat der Ruag Holding AG mitgeteilt.“

Das ist sicher ein erfreulicher Teilerfolg. Jetzt nehmen wir diesen positiven Schwung mit, um mit gesammelten Kräften die perverse Waffenexportpolitik des Bundes zu beenden. Die (selbst)mörderischen Mühlen der Gewinnmaximierung dürfen nicht das letzte Wort behalten.

Dabei geht es auch darum, das dumm egoistische Argument der Arbeitsplatzsicherung zu knacken. Erstens hat die Rüstungsindustrie einen extrem kleinen Anteil am Arbeitsplatzbestand in der Schweiz. Zweitens ist das Argument ein gewaltiger Stoss in den Magen der durch Vertreter der Wirtschaft so hochgelobten «Swissness», die sich durch Kreativität, Qualität und Präzision auszuzeichnen frönt. Wer «Swissness» für den Krieg produziert, sollte auch die Fähigkeit haben, diese für Frieden und Gerechtigkeit neu auszurichten. Stur das Argument der Arbeitsplatzsicherung zu deklinieren, ist ein offenes Eingeständnis fehlender kreativer Eigenkapazität.

(tuto)